„So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“
(Jakobus 5, 7-8)
Karg, schlicht ist er, der zweite Advent. In den Gottesdiensten zum ersten Advent ist es feierlich, wenn wir der Erzählung vom Einzug Jesu nach Jerusalem nachspüren und „Macht hoch die Tür“ singen. Am zweiten Advent dagegen sind die Gebete einfacher und das Gloria in excelsis wird von diesem Sonntag an bis Weihnachten nicht mehr gesungen. Statt Herrschermacht bildet der erlösende Aspekt Gottes den Mittelpunkt dieses Sonntags. Wir nähern uns wohl dem Kern, was die Adventszeit ausmacht: Die innere Vorbereitung auf Weihnachten und die Buße.
Kann man mit dem Gedanken, Advent als „Bußzeit“ zu verstehen, heute noch jemanden erreichen? Wo doch seit Ende des Sommers das Weihnachtsgebäck schon zu kaufen war, spätestens „black friday“ die Rabattschlacht eingeläutet hat und eigentlich doch alles längst auf Weihnachten hinausläuft? Wozu noch eine Zeit des Innehaltens?
Ein Werbefilm einer großen deutschen Supermarktkette führte in dieser Woche zu vielen Diskussionen: Ein alter Mann wird an Weihnachten von niemandem besucht, obwohl er eine große Familie mit Kindern und Enkelkinder hat. Er blickt traurig zum Fenster hinaus. Das Weihnachtsfestessen nimmt er einsam ein. An einem für ihn allein viel zu großen Tisch unter dem Schein des Christbaums. Szenenschnitt: Seine große Familie erhält die Mitteilung, dass er verstorben ist. Alle sind tief betroffen und machen sich von den unterschiedlichsten Orten auf den Weg, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Und dann, nach der Beerdigung, geschieht das Unfassbare: Die ganze Familie kommt in das Haus des alten Mannes, wo noch immer die Kerzen des Christbaums hell leuchten, nun aber der Tisch für viele gedeckt ist. Er tritt in das Weihnachtszimmer und sagt den einzigen Satz der fast zweiminütigen Werbung: „Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“
Ja, viel wurde über diesen Werbefilm diskutiert und man mag darüber streiten können, ob das eine geeignete Form ist für Lebensmittel zum Weihnachtsfest zu werben. Aber die Reaktionen auf diesen Film zeigen: Er bewegt uns, er lässt uns knapp zwei Minuten innehalten und einmal darüber nachdenken, wie wir es denn mit unseren Nächsten halten, wie wir denn dieses Jahr wohl Weihnachten feiern werden. Der Werbefilm hält uns den Spiegel vor. Und mir scheint, dass die heftigsten Reaktionen zu diesem Werbefilm von denen kommen, die sich am meisten in ihm wiedergefunden haben – von ihm betroffen und getroffen sind.
Der alte Mann im Film, er ist wie der Bauer im Predigttext für den heutigen Sonntag. Geduldig wartet er und hofft auf die „kostbare Frucht“: Auf das Kommen seiner Familie. Er wirkt traurig, aber er scheint unbeirrt mit seiner Aktion: Seine Familie wird er wieder zusammen an den Tisch bekommen – die Kerzen des Christbaums brennen weiter.
Die Verse aus dem Jakobusbrief sagen viel über unser Christsein aus: Auch wir warten wie der Bauer wartet und leben zugleich wie auch er aus der unerschütterlichen Hoffnung auf Gott. Wir kennen nicht Tag und Stunde des Regens, wir wissen nur, dass er es wieder regnen lassen wird.
Am Ende feiern alle ein großes Fest mit dem alten Mann, der zunächst in seiner Einsamkeit wie lebendig begraben schien. Und die Familie scheint zu erleben, was Gemeinschaft ist – bestimmt nicht ihr letztes Weihnachtsfest in so großer Runde. Advent mag uns zur Buße mahnen: Nicht alles lässt sich aufschieben, nicht alles lässt sich nachholen. Vielleicht ist gerade jetzt vor Weihnachten ein guter Moment einmal darüber nachzudenken, was uns im Leben wichtig ist. Vielleicht können auch wir dann solche „Auferstehungen“, wie die des tot geglaubten alten Mannes erleben – im Kleinen, ganz unspektakulär. Ich wünsche es uns.
Andreas Bartholl (SR Finanzen)