Es ist kalt draußen. Sehr kalt. Die Menschen schreiten an ihm vorüber. Langsam. Ganz langsam, beachten ihn keines Blickes. Er, der er früher so viel Geld hatte. Er, der früher den Menschen geholfen hat. Jetzt braucht er ihre Hilfe, aber niemand ist da, um ihn zu helfen. Ein warmes Plätzchen wäre jetzt schön, denkt er sich. Doch wo findet er solch einen Platz? Langsam geht er gebückt durch die Straßen der ihm so bekannten Stadt. Den Blick gesenkt, auf den Boden gerichtet. Sein Blick hebt sich allmählich auf, als er zu einer großen Kirche kommt. „Geöffnet – Bei uns ist jeder Willkommen“, steht da draußen an der Tür. Kurz überlegt er, doch dann tritt er ein.
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehre einziehe! (Ps 24,7)
So übersetzt Luther den 7. Vers des 24. Psalms, doch eigentlich steht es dort ein wenig anders:
Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, und erhebt euch, ihr ewigen Pforten, daß der König der Herrlichkeit einziehe! (ELB: Ps 24,7)
Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, so heißt es in der Elberfelder Übersetzung. Den Kopf erheben, auch wenn es manchmal doch so schwer scheint. Den Kopf vom gewohnten Trott abwenden, sich dem zuwenden, was um einen herum vorgeht. Nur den Blick auf den Boden gerichtet durchs Leben zu gehen, das bringt nichts.
Sie rennt, sie hetzt, keine Zeit mehr. Bald ist Heiligabend, und noch sind nicht alle Geschenke besorgt, auch der Weihnachtsbaum ist noch nicht da. Wollte sie sich darum kümmern oder wollte ihre Frau das machen? Sie weiß es nicht mehr, aber dafür fehlt ihr jetzt wirklich die Zeit. Dann gibt es halt keinen Baum zu Weihnachten, die Geschenke werden den Kindern schon reichen.
Was steht da nochmal auf dem Wunschzettel ihres Sohnes? Die tolle Ritterburg mit den großen Türen? Welche Ritterburg? Die von Duplo oder doch die von Playmobil? Sie weiß es nicht mehr. Die Zeit rennt ihr weg. Sind die Türen für diese Burg denn so wichtig? Sie nimmt jetzt einfach die, die sie als nächstes findet. Advent, so denkt sie sich, ist doch immer die stressigste Zeit des Jahres, obwohl es doch eigentlich eine Zeit sein sollte, in der man ein wenig entspannen kann. Sie hetzt weiter durch die Straßen der großen Stadt. Dann steht sie plötzlich vor dieser großen Kirche. „Geöffnet – Bei uns ist jeder Willkommen“, steht da draußen an der Tür. Kurz überlegt sie, doch dann tritt sie ein.
Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
Wer unschuldige Hände hat und reines Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug und nicht falsche Eide schwört:
der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heiles.
(Ps 24,3-5)
Ein wohlig warmes Gefühl umgibt ihn, als er endlich seinen Platz in der Kirche einnimmt. Es ist der 3. Advent. Noch etwas mehr als eine Woche bis Weihnachten, bis er wieder in dieser Kirche sitzen wird, dem einzigen Ort, an dem er an diesem Tag ein wenig Gemeinschaft empfangen kann. Er sitzt da. Oben auf der Empore übt der Chor das Lied für den Gottesdienst: „Macht hoch die Tür“. Eine Tür öffnen. Die offene Tür der Kirche wird von vielen angenommen, von dem alten Mann, der jungen Mutter und vielen Anderen. Jeden Sonntag im Advent öffnet sich die Tür ein kleines Stück mehr, bis sie am heiligen Abend endlich komplett geöffnet ist. Bis der Friedensfürst selbst uns alle dazu einlädt, mit ihm zusammen zu sitzen. Der heutige 3. Advent gibt uns noch mehr einen kleinen Einblick auf das, was kommen wird, denn heute sind die Kirchen (zumindest traditionell) nicht lila geschmückt, sondern rosa. Das Licht der Weihnacht scheint heute schon durch das Lila des Advents hindurch. Die Tür, die uns noch von Weihnachten trennt, ist heute ein kleines bisschen weiter geöffnet.
Es ist Heiligabend. Alle sitzen vor dem Weihnachtsbaum, alle reißen das Papier auf. Man sieht die strahlenden Gesichter, bei einigen sieht man auch Enttäuschung, wenn es wieder nur Socken sind. Aber als sie das Strahlen des kleinen Jungen sehen, der seine Ritterburg auspackt, ist alles wieder in Ordnung. Als ihn seine Mutter fragt, warum ihm denn die großen Türen der Burg so wichtig waren, treibt es seiner Mutter die Tränen in die Augen. Seine Burg braucht große Türen, damit zu Weihnachten alle in die Burg kommen können und keiner alleine draußen vor der Türe stehen muss.
Und ich? Oder du? Für wen öffne ich meine Tür? Nicht unbedingt die Tür meiner Wohnung, aber manchmal reicht auch schon die Tür des Herzens, das wir so oft doch gut verschlossen halten.
Einen schönen 3. Advent,
Jan (SR Internet)